Die beiden Spitzenpolitiker der EU sprechen kaum miteinander

Der Europäischen Union wird seit langem ein Mangel an Demokratie vorgeworfen, aber die nicht gewählten Bürokraten, die in Brüssel das Sagen haben, behaupten, dass nur sie über die technokratischen Fähigkeiten verfügen, Europa in Krisenzeiten zu führen.

Das Problem mit dieser Theorie ist, dass selbst die mit der Führung Europas beauftragten Personen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, sich wie bockige Kinder verhalten, wie ein neuer Artikel von Politico mit dem Titel „Europe’s odd couple: The dysfunctional relationship at the heart of the EU“ (Europas seltsames Paar: Die dysfunktionale Beziehung im Herzen der EU), sprechen sie kaum miteinander.

Der persönliche Streit zwischen den beiden könnte weitreichende diplomatische und legislative Folgen haben, und vor dem G20-Treffen nächste Woche in Bali gibt es keine Anzeichen dafür, dass die beiden ein Interesse daran haben, ihre sich verschlechternde Beziehung zu reparieren.

In dem Politico-Artikel von Suzanne Lynch wird beschrieben, wie ein Team von Experten und Pressesprechern, das hinter der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen und dem Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel arbeitet, praktisch nicht mehr miteinander spricht, und die beiden Politiker haben eine seltsame Art, sich gegenseitig von Treffen mit wichtigen ausländischen Politikern auszuschließen. Auch im Vorfeld großer Gipfeltreffen finden laut Politico praktisch keine Treffen zwischen den beiden statt.

Diese dysfunktionale Beziehung ist nicht nur schlecht für die legislative und politische Agenda der EU, sondern untergräbt auch die Leistung der EU-Institutionen in den Augen der Welt. In Bali beispielsweise wird Xi Jinping, der gerade als Chinas Parteivorsitzender bestätigt wurde, bei einem wichtigen Treffen am Rande des G20-Gipfels Gespräche mit Michel führen. Da die Wahrnehmung Chinas unter den Staats- und Regierungschefs der EU ziemlich extrem ist, macht es einen Unterschied, mit wem Xi sprechen wird und über welche Themen. Von der Leyen wird jedoch nicht an dem Treffen teilnehmen.

Innenpolitisch könnte sich die mangelnde Kommunikation zwischen den beiden Teams auf grundlegende Fragen wie die steigenden Energiekosten auswirken. Trotz der Bedeutung des Themas für die Europäer, schreibt Politico:

„Da die privaten Kanäle nicht genutzt werden, haben sich die Spannungen in die Öffentlichkeit verlagert, insbesondere was den Umgang mit der Energiekrise betrifft. In dieser Woche rügte Michel von der Leyen in einem Brief, den Politico einsehen konnte, dass sie keinen Vorschlag für eine Preisobergrenze für Erdgas vorgelegt hatte, nachdem die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel im Oktober eine solche gefordert hatten.“

Der Streit geht auf den Sommer dieses Jahres zurück, als von der Leyen sich Berichten zufolge weigerte, Michel an einem Treffen mit dem indischen Premierminister Narendra Modi auf dem G7-Treffen in Deutschland im Juni teilnehmen zu lassen.

Nach Ansicht erfahrener EU-Beamter, die unter den Präsidentschaften der Kommission von Jean-Claude Juncker und des Rates von Donald Tusk gearbeitet haben, ist die persönliche Fehde nun zu einer interinstitutionellen Rivalität auf höchster Ebene ausgeartet. Selbst vor den entscheidenden Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs gibt es so gut wie keinen Kontakt zwischen den beiden Seiten. Auch wenn es darum geht, mit einem ernstzunehmenden Dritten zu verhandeln, gibt es eine ständige Rivalität.

Die Wurzel des Problems: ‚Sofagate‘

Als die beiden 2019 ihre Führungspositionen antraten, fing alles relativ gut an. Der erste peinliche Fall ereignete sich im April 2021, als Michel und von der Leyen gemeinsam in die Türkei reisten. Im Sitzungssaal von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan saß Michel vor laufenden Kameras ganz ruhig im Sessel neben dem Sessel des türkischen Präsidenten, während die unbeholfen stolpernde von der Leyen gezwungen war, auf dem Sofa Platz zu nehmen, das am Ende des Raumes aufgestellt worden war. Diese Besetzung machte deutlich, wer der wahre Anführer der EU ist.

Später sagte Ursula von der Leyen, sie sei sehr beleidigt über die Szene und empfinde sie sogar als sexistisch. Die als „Sofagate“ oder Sofaskandal bekannte Affäre ereignete sich, nachdem Michel eines seiner üblichen Mittagessen mit von der Leyen am Montag wegen des Besuchs des Präsidenten eines afrikanischen Staates abgesagt hatte. Aus EU-Quellen ist zu erfahren, dass sich die beiden Staats- und Regierungschefs früher, z. B. unter Juncker und Tusk, regelmäßig zu einer Vielzahl von Themen konsultierten und sich gegenseitig halfen, indem sie auf ihre früheren politischen Kontakte zurückgriffen. Laut Politco arbeiteten sie in bestimmten Bereichen wie der Migration sogar über ihre Differenzen hinweg.

EU-Beamte, die die sich verschlechternde Situation beobachtet haben, sagen, dass beide Staats- und Regierungschefs die Schuld an der schlechten Beziehung tragen. Michel wird für seinen schlampigen Umgang mit Fällen wie dem Sofa-Skandal verantwortlich gemacht, und von der Leyen dafür, dass sie alles unter „enger Kontrolle halten will, selbst auf Kosten der Zusammenarbeit“.

Politico argumentiert, dass Michel zwar die Position innehat, die von vielen als die mächtigere angesehen wird, von der Leyen aber aufgrund ihrer engen Verbindungen nach Washington und ihrer engen Kontakte zur Biden-Administration insgesamt die Oberhand hat.

In der Vergangenheit habe es Spannungen zwischen den beiden Spitzenpolitikern gegeben, doch bei ihren Vorgängern habe stets der gesunde Menschenverstand gesiegt, und beide hätten erkannt, dass es in ihrem Interesse sei, eine enge, gut funktionierende Arbeitsbeziehung aufzubauen, so der EU-Beamte weiter.